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From: Jan Seifert (email@jan-seifert.de)
Date: Fri Jul 12 2002 - 10:25:35 CEST

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      JUGENDKONVENT IN BRÜSSEL

    Üben für Europa

    Von Alwin Schröder, Brüssel

    210 junge Europäer sollen bis Freitag ihre Vorschläge für die Zukunft
    Europas unterbreiten. Doch die Zusammensetzung des EU-Jugendkonvents ist
    alles andere als unkonventionell. Es dominieren wieder die Vertreter der
    politischen Parteien mit ihren Nachwuchskräften.

    Brüssel - Manchmal werden Illusionen schnell zerstört. In der Gruppe
    "Demokratie und Mitwirkung" soll ein Wust von Anträgen abgearbeitet werden,
    aber immer wieder kommt es zu Verzögerungen. Ein junger französischer
    Delegierter will partout nicht einsehen, dass die Vorlagen nur in
    englischer Sprache verfasst sind, obwohl dies vorher so entschieden wurde.
    "Ich glaube nicht, dass die meisten Europäer Englisch sprechen",
    argumentiert er. Erst nach mehreren Wortmeldungen sieht er ein, sich dem
    Mehrheitsbeschluss beugen zu müssen. Wenn immer mehr Bürger Europa-müde
    sind und nicht mehr an ein gemeinsames Miteinander der Staaten glauben,
    wird er in diesem Moment des EU-Jugendkonvents bestätigt.

    "Ich hätte nicht gedacht, dass unsere Arbeit so schwer zu organisieren
    ist", gibt Floriana Müller, 21, zu. Die Berliner Studentin und Grüne ist
    eine von elf Deutschen unter den 210 Jugendlichen aus 28 europäischen
    Ländern. Gleich zu Beginn des Konvents hatte sie einen Vorgeschmack auf die
    nächsten Tage bekommen. Die Wahl des Präsidiums zog sich bis nachts um halb
    zwei hin, ehe man sich geeinigt hatte. Irgendwann musste dafür gesorgt
    werden, dass das Licht auf den Gängen des Europäischen Parlaments nicht
    ausgeschaltet wurde.

    Dabei hatte Valery Giscard d'Estaing, der Vorsitzende des eigentlichen
    EU-Reformkonvents, sich von dem Treffen der jungen Leute "Rückenwind für
    Europa" erhofft. "Wir müssen den jungen Menschen vorrangig Gehör schenken",
    forderte der 76-jährige frühere französische Staatschef.

    Der Jugendkonvent ist genauso aufgebaut wie der Konvent der Erwachsenen. Es
    gibt einen Präsidenten, ein Präsidium und Berichterstatter. Plenarsitzungen
    wechseln mit Arbeitsgruppen ab. Wer sich letztlich am meisten durchgesetzt
    hat, wird sich am Freitag zeigen, wenn das Schlussdokument der zwischen 18-
    und 25-jährigen den "erwachsenen" Reformern übergeben wird, die bis Mitte
    nächsten Jahres ebenfalls Vorschläge für die Zukunft Europas erarbeiten sollen.

    Unabhängige in der Minderheit

    Bei den Präsidiumswahlen des Jugendkonvents behielten die Vertreter der
    Sozialisten, Konservativen, Grünen und Liberalen die Oberhand. Wirklich
    politisch Unabhängige waren in der Minderheit, wie dies auch Vertreter von
    Kirchen oder Menschenrechtsgruppen unter allen Teilnehmern sind. Ins
    Präsidium wurde stattdessen mit Anna Lührmann, 19, eine ambitionierte
    deutsche Grünen-Politikerin berufen. Von ihr wird man vielleicht noch
    hören: Die Abiturientin wurde für die Bundestagswahl auf Platz fünf der
    hessischen Landesliste gesetzt und darf darauf hoffen, demnächst die
    jüngste Parlamentarierin im Berliner Reichstag zu sein - wenn die Grünen
    rund acht Prozent der Stimmen bekommen.

    Jan Kreutz, 22, bekam ebenfalls eine wichtige Aufgabe beim Jugendkonvent.
    Er leitet als "Rapporteur" eine der drei Arbeitsgruppen. Der
    Politik-Student aus Berlin ist zwar Vizepräsident der "Jungen Europäischen
    Föderalisten" (JEF), einer parteiübergreifenden Organisation, sympathisiert
    aber mit den Jusos. CDU und CSU sind beim Konvent unter anderem mit Marcus
    Klein, 25, vertreten, der dem Bundesvorstand der Jungen Union angehört.
    Sechs der elf deutschen Teilnehmer wurden von den nationalen "erwachsenen"
    Reformkonventsmitglieder gewählt, vier von Mitgliedern des Europäischen
    Parlaments und eine von der EU-Kommission.

    Zwar betonen alle Teilnehmer immer wieder, dass es bei dem Konvent nicht um
    Parteipolitik gehe, aber bei den Diskussionen über Globalisierung oder
    Sicherheitspolitik traten doch die jeweiligen unterschiedlichen
    Auffassungen zu Tage. Und immer wieder wurde auch der Kontakt zu den
    Parteivertretern vor Ort gehalten. Die Verzögerungen bei der Erarbeitung
    des Jugend-Dokuments über das zukünftige Europa kämen sicherlich auch
    einigen "erwachsenen" Reformern nicht ungelegen, glaubt Marcus Klein, denn
    sie könnten sich durch ausgefeilte Vorschläge bei ihrem eigenen Auftrag der
    Modernisierung der EU-Arbeit unter Erfolgsdruck gesetzt fühlen.

    Die Interessen der Jugendkonvent-Teilnehmer scheinen auch nicht unbedingt
    mit ihren Altersgenossen in Europa überein zu stimmen. Besonders viel
    Interesse bei den Delegierten fand die Arbeitsgruppe über die europäischen
    Institutionen. Eine "Eurobarometer"-Umfrage der EU-Kommission unter 9760
    Jugendlichen ergab jedoch, dass nur 33 Prozent die Verbesserung der Arbeit
    der EU-Gremien für wirklich wichtig halten. 79 Prozent der Befragten
    zwischen 15 und 24 Jahren war der Kampf gegen Arbeitslosigkeit, soziale
    Ausgrenzung und Armut wichtiger.

    11.7.02 http://www.spiegel.de/politik/europa/0,1518,204842,00.html



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