From: Marc-Oliver Pahl (info@mopahl.de)
Date: Thu Jan 02 2003 - 15:56:30 CET
Liebe Leute,
sehr geehrte Damen und Herren,
anbei ein Papier der Berliner Grünen Europa AG
zum Referendum über die zukünftige europäische
Verfassung und weiteren Elementen der direkten
Demokratie in der Verfassung.
In dem Papier hat die Europa AG eine Strategie
entwickelt, wie der allgemeine Wunsch nach einer
Stärkung der europäischen Demokratie und die
weitverbreitete Forderung nach einem Referendum
über eine europäische Verfassung in die Praxis umgesetzt
werden kann.
Nur allgemeine Parolen wie
"Für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger"
helfen angesichts der komplizierten Rahmenbedingungen
nicht wirklich weiter.
Das Papier wurde in Zusammenarbeit mit
Vertretern des Bereichs Demokratische Rechte der Berliner Grünen, von
Mehr Demokratie e.V. und den Jungen Europäischen Föderalisten erarbeitet.
Die Europa AG dankt allen Beteiligten für ihren input!
Das Konzept ist natürlich offen für eine Weiterentwicklung
in den nächsten Monaten, je nach Verlauf des Verfassungsprozesses
und der begleitenden Diskussionen.
Anregungen bitte an info@mopahl.de.
So, und nun sind in Deutschland der Bundestag und der Bundesrat dran:
Durch eine Ergänzung des Demokratieartikels des Grundgesetzes (Art. 20 GG)
oder eine Ergänzung des Europa-Artikels (Art. 23 GG) sollten
in den kommenden Monaten die Grundlagen dafür gelegt werden,
damit auch die Deutschen an einem europaweiten Referendum über die
europäische Verfassung teilnehmen können.
Vertreter aller deutscher Parteien haben sich in den vergangenen
Monaten für ein solches europäisches Verfassungs-Referendum ausgesprochen!
Nun wird es Zeit, die verfassungsrechtlichen Grundlagen dafür zu legen!
Mit besten Grüßen für 2003,
das Jahr der europäischen Verfassung
Marc-Oliver Pahl
Mitglied Europa AG, Buendnis 90-Die Gruenen Berlin,
http://www.gruene-berlin.de/europa/
Co-Sprecher Bundesarbeitsgemeinschaft Europa, Buendnis 90-Die Gruenen
mailto: marc-oliver.pahl@gruene.de oder bag.europa@gruene.de
http://www.gruene.de/fb.aussenpolitik/
Mitglied des Vorstands/Member of the Bureau
Union Europaeischer Foederalisten/Union of European Federalists (UEF)
mailto:uef.european.federalists@skynet.be
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Europa AG, Bündnis 90/Die Grünen Berlin
Mehr Demokratie wagen für Europa!
einstimmiger Beschluss vom 16.12.2002, nach drei Beratungen,
unter anderem mit Vertretern des Bereichs Demokratische Rechte,
Mehr Demokratie e.V. und den Jungen Europäischen Föderalisten
I. Grundsätzliche Überlegungen zu Demokratie und EU
Der Europäische Rat von Laeken hat Ende 2001 einen inter-institutionellen Konvent eingesetzt, um die
EU durch eine Reform ihrer konstitutionellen Grundlagen für eine Erweiterung um zehn und mehr neue
Mitgliedstaaten fit zu machen. In den bisherigen Konventsdiskussionen spielt die zentrale Frage der
demokratischen Legitimation der EU-Institutionen leider jedoch nur eine geringe Rolle. Gelingt es
nicht, das demokratische Defizit der EU zu überwinden und die Bürgerinnen und Bürger für den
europäischen Integrationsprozess zu gewinnen, besteht die Gefahr, dass das politische Projekt Europa
scheitert.
Die von einigen Staats- und Regierungschefs vorgeschlagene Wahl eines starken europäischen
Präsidenten durch den Europäischen Rat wird sicherlich nicht zu einer Demokratisierung Europas
führen. Die Legitimationskette von den Bürgerinnen und Bürgern zu diesem europäischen Präsidenten
wäre viel zu lang.
Hingegen würde die von anderen Vertretern im Konvent, z.B. allen deutschen Konventsmitgliedern,
vorgeschlagene Wahl eines starken Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament die
Demokratie in Europa sicher erheblich voranbringen.
Dennoch sollte auch über ergänzende Schritte zur Stärkung der europäischen Demokratie Im
europäischen Mehrebenensystem nachgedacht werden: Der wichtigste Schritt zur Erneuerung der
demokratischen Kultur ist getan, wenn die Union künftig nicht mehr nur auf den Mitgliedstaaten,
sondern vor allem auf den Bürgerinnen und Bürger aufbaut. Die politische Organisation der
Europäischen Union mit bald 450 Mio. Einwohnern muss den Zielen von Bürgernähe und Offenheit dienen.
Daher sollte nicht nur über institutionelle Reformen, sondern auch über direkt-demokratische
Elemente nachgedacht werden. Dabei muss zum einen die Frage angegangen werden, wie die Bürgerinnen
und Bürger im Verfassungsprozess selbst mitwirken. Zum zweiten muss überlegt werden, ob
direkt-demokratische Elemente auch in den normalen, nicht-konstitutionellen Entscheidungsprozess der
EU aufgenommen werden.
Folgende Gesichtspunkte sind dabei zu berücksichtigen:
- Die Bürgerinnen und Bürger Europas werden die Verfassung nur dann als ihre eigene Verfassung
annehmen, wenn sie über den Verfassungsentwurf abstimmen können.
- Durch die Perspektive eines anschließenden Referendums werden die Bürgerinnen und Bürger schon in
den Ausarbeitungsprozess der Verfassung einbezogen. Die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger werden
vom Konvent stärker wahrgenommen werden, die Gefahr eines negativen Votums wird technokratische
Vorschläge verhindern.
- Das notwendiger Weise komplexe politische Mehrebenensystem EU verliert durch unmittelbare
Beteiligungschancen für die Bürgerinnen und Bürger seine Unnahbarkeit.
- Trotz der Tatsache, dass die tagtägliche Politik der EU stark auf Verhandlungen und Kompromissen
zwischen den Institutionen basiert, ist die Einführung direkt-demokratischer Elemente in der EU ist
sinnvoll, weil schon die bloße Möglichkeit späterer Abstimmungen die EU-Institutionen zu größerer
Bürgernähe zwingen kann.
- Abstimmungen über eine europäische Verfassung könnten zwar von populistischen Bewegungen zur
generellen Abrechnung mit der Europäischen Einigung genutzt werden. Den Bürgerinnen und Bürgern ist
aber durchaus zuzutrauen, sich in intensiven Debatten im Vorfeld einer Abstimmungen sachlich über
europapolitische Themen zu informieren. Zudem hat das Betreiben der europäischen Einigung als ein
Projekt der Eliten zu einer wachsenden Kluft zwischen der EU und der öffentlichen Meinung geführt,
die in einer demokratischen Gesellschaft auf die Dauer nicht hinnehmbar ist und ihrerseits einen
willkommenen Ausgangspunkt für populistische Meinungsmacher bietet. Wenn europäische Referenden zu
einer höheren Identifikation mit der europäischen Einigung führen würden, sollten dafür auch gewisse
Verlangsamungen der Integrationsdynamik hingenommen werden.
- Bei der Ausgestaltung direktdemokratischer Mitentscheidungsprozesse auf europäischer Ebene muss
auf die Besonderheiten der EU Rücksicht genommen werden. So muss z. B. trotz des zahlenmäßigen
Überwiegens der Bevölkerung der großen Mitgliedstaaten der Einfluss der Bürgerinnen und Bürger der
kleineren Mitgliedstaaten gewährleistet bleiben.
II. Unsere Forderungen: Europaweites Verfassungs-Referendum und direkt-demokratische Elemente in der
Verfassung
Der europäische Verfassungsprozess ist von zentraler Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der
erweiterten Europäischen Union. Der Verfassungsentwurf des Konvents und die nachfolgende Behandlung
dieses Entwurfs wird entscheidend sein für die Akzeptanz des Integrationsprojektes bei den
europäischen Bürgerinnen und Bürger. Ohne konkrete Fortschritte bei der Demokratisierung droht die
EU zu scheitern.
Daher fordern wir für eine künftige Europäische Verfassung:
1. Die vom Konvent ausgearbeitete Verfassung sollte nicht nur den nationalen Parlamenten und dem
Europäischen Parlament, sondern auch den europäischen Bürgerinnen und Bürger vorgelegt werden.
a) Bereits heute ist in einigen Mitgliedstaaten für eine umfassende Reform der Europäischen Union
nach nationalem Verfassungsrecht ein Referendum obligatorisch. Die anderen alten und neuen
Mitgliedstaaten sollten zügig, spätestens nach der Vorlage des Verfassungsentwurfs durch den Konvent
Mitte 2003, in ihren Verfassungen die Grundlage für ein Referendum über die europäische Verfassung
legen.
Die anschließende Regierungskonferenz sollte bei ihrem Abschluss, voraussichtlich auf dem
Europäischen Rat im Dezember 2003 in Rom, beschließen, dass der Verfassungsentwurf nicht nur den
nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament, sondern auch den europäischen Bürgerinnen und
Bürgern in einem europaweiten Referendum auf Grund der nationalen verfassungsrechtlichen
Vorschriften vorgelegt werden soll. An einem Tag im Jahre 2004, am Besten dem Tag der Europawahlen
im Juni 2004, sollten dann alle europäischen Bürgerinnen und Bürger über den Verfassungsentwurf
abstimmen können.
Die Verfassung soll in Kraft treten, wenn sie von den Abgeordneten und den Bürgerinnen und Bürger in
der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten angenommen wird. Ein negatives Votum in einem oder zwei
Mitgliedstaaten darf die dringend notwendige Reform der erweiterten Europäischen Union und damit das
Inkrafttreten der Verfassung nicht verhindern können.
Die Mitgliedstaaten, in denen eine Mehrheit gegen die europäische Verfassung stimmt, sollen sich
entscheiden können, ob sie die Verfassung nach Aushandlung eines Sonderstatus und einem zweiten
Referendum annehmen wollen. Falls es dazu nicht kommen sollte, müssen die Mitgliedstaaten der neuen
„konstitutionellen“ Europäischen Union mit den nicht der Verfassung beigetretenen Mitgliedstaaten
ihre zukünftigen Beziehungen einvernehmlich regeln.
b) Sollten nicht in allen alten und neuen Mitgliedstaaten bis Ende 2003 die verfassungsrechtlichen
Grundlagen für ein Referendum über die europäische Verfassung gelegt worden sein, sollte der
Europäische Rat im Dezember 2003 in Rom die übrigen Mitgliedstaaten auffordern, im Rahmen des
gesamteuropäischen Referendums konsultative Referenden durchzuführen.
Auch in diesem Szenario sollten dann an einem Tag im Jahre 2004, am Besten dem Tag der Europawahlen
im Juni 2004, alle europäischen Bürgerinnen und Bürger über den Verfassungsentwurf abstimmen können.
Die Mitgliedstaaten, in denen die Abgeordneten und die Bürgerinnen und Bürger mehrheitlich für die
Annahme stimmen, werden Mitglieder der neuen „konstitutionellen“ Europäischen Union.
In den Mitgliedstaaten, in denen eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gegen die europäische
Verfassung stimmt, müssen sich die Verfassungsorgane entscheiden, wie sie mit diesem Votum umgehen.
Die Verfassung sollte aber auch in diesem Szenario bereits dann in Kraft treten, wenn sie von den
Abgeordneten und den Bürgerinnen und Bürger in der großen Mehrzahl von Mitgliedstaaten angenommen
wird. Für das weitere Vorgehen im Verhältnis zu dem Mitgliedstaaten, in denen eine Mehrheit gegen
die europäische Verfassung stimmt, gelten die im Hauptszenario dargestellten Überlegungen.
2. In der Europäischen Verfassung ist festzulegen, dass alle künftigen Verfassungsänderungen von
einem Konvent aus Mitgliedern der nationalen Parlamente und des EP sowie Vertretern der nationalen
Regierungen erarbeitet werden sollen. Die bevölkerungsreichen Mitgliedstaaten sollen dabei mehr
Konventsmitglieder stellen können als die kleinen Mitgliedstaaten. Wesentliche Verfassungsänderungen
sollen anschließend nicht nur den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament, sondern
auch den Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union in einem Referendum vorgelegt werden müssen.
Verfassungsänderungen treten nur in Kraft, wenn sie von vom Europäischen Parlament, von einer großen
Mehrheit der nationalen Parlamente und einer Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in fast allen
Mitgliedstaaten gebilligt werden. Ein negatives Votum in einem oder zwei Mitgliedstaaten darf das
Inkrafttreten der Verfassungsänderung nicht verhindern können.
3. Die Europäische Verfassung könnte vorsehen, dass die europäischen Institutionen weitere zentrale
Vorhaben der Union den Bürgerinnen und Bürgern zur Abstimmung vorlegen können (z.B. die Aufnahme
weiterer Mitgliedstaaten, die Einführung von europäischen Steuern etc.).
4. In die Europäischen Verfassung sollten schließlich auch weitgehendere direkt-demokratische
Elemente aufgenommen werden. In einem ersten Schritt sollte ein bestimmtes Quorum von
Unionsbürgerinnen und Unionsbürger das Recht erhalten, durch eine Unions-Inititative Vorschläge für
europäische Gesetze oder Vertragsveränderungen auf die Tagesordnung des Europäischen Parlaments und
des Rats zu setzen. Die nähere Ausgestaltung dieser Beteiligungsrechte soll durch Rechtsvorschriften
geregelt werden, die das EP und der Rat gemeinsam beschließen. Bestimmte Materien sollen dabei von
der Unions-Initiative ausgenommen werden. Die Quoren sind so festzusetzen, dass ihre Erreichung
möglich ist, aber dazu erhebliche Anstrengungen nötig sind.
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