Fwd: JEF interviewt Voggenhuber zum Konvent

From: Leonhard Hruschka (leonhard.hruschka@gmx.de)
Date: Mon Mar 04 2002 - 10:41:37 CET


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>From: Jan Seifert <email@jan-seifert.de>
>Subject: JEF interviewt Voggenhuber zum Konvent
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>
>folgend ein interview der JEF-Europe Zeitschrift The New Federalist mit J.
>Voggenhuber:
>(kleiner Hinweis: neben Voggenhuber lehnt übrigens auch Moscovici eine
>Avantgarde ab)
>
>
>Interview mit Johannes Voggenhuber, Abgeordneter des Europaparlaments und
>Vertreter der Grünen Parlamentsfraktion im Verfassungskonvent
>
>TNF: Wie sehen Ihre generellen Erwartungen für den Konvent aus?
>
>V: Die maximalen Erwartungen sind ein erster europäischer Verfassungstext,
>der vielleicht nicht die endgültige Form Europas entwirft, aber eine
>gültige. Drei wesentliche Elemente einer Verfassung müssen dafür gegeben sein:
>Erstens muß es zur Ausformung einer echten europäischen Demokratie, einer
>Art republikanischer Grundordnung kommen. Allerdings muß man festhalten,
>daß es nicht um die Lösung der Finalitätsdebatte geht, sondern primär um
>die Verwirklichung der demokratiepolitischen Prinzipien im supranationalen
>Raum. Das ist eine historische Herausforderung, wenn man bedenkt, daß
>Demokratie immer an den Nationalstaat gebunden war. Zu all dem gehört
>natürlich die volle Einbindung der Grundrechtscharta, die Auflösung der
>zweiten und dritten Säule, die volle Zuständigkeit des Europäische
>Gerichtshofes, eine ordentliche statt einer irregulären Verwaltung, ein
>europäisches Parteienstatut mit gemeinsamem Wahlrecht, und auch ein
>europäisches Vereins- und Versammlungsrecht. Also ein sehr weiter Bogen,
>der sich von der Errichtung einer Institutionenordnung, die man als
>republikanisch bezeichnen kann, eines Systems von Checks and Balances,
>über Gewaltentrennung bis zur Öffentlichkeit der Gesetzgebung und Bindung
>der Verwaltung an diese Gesetze spannt. Kurz, das ganze Spektrum des
>sogenannten europäischen politischen Erbes soll einfließen. Der Methode
>Monét, also der diskreten, pragmatischen Integration über sich zufällig
>ergebende Zentralisierungsmöglichkeiten wäre damit ein historisches Ende
>bereitet.
>Zum zweiten muß die Handlungsfähigkeit Europas gestärkt werden. Das
>bedeutet demokratische Mehrheitsbildung statt Einstimmigkeit, außer in
>Bereichen, die Verfassungsbestimmungen betreffen. Das bedeutet weiters
>eine Reform des Rates und der Kommission, damit nationale Interessen nicht
>mehr einer Vertiefung im Weg stehen können.
>Dritte Aufgabe ist die Herstellung einer politischen Einigung Europas,
>denn die Probleme Europas liegen meiner Ansicht nach in einer großen
>Disbalance zwischen wirtschaftlicher und politischer Integration.
>Die Schwerpunkte der politischen Integration liegen sicher in der
>Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, und in der
>sozialen Dimension der europäischen Einigung. Wenn es eine politische
>Einigung geben soll, muß es auch den Willen geben, für die eigene
>Verteidigung und Sicherheit zuständig zu sein und sie nicht von den
>Amerikanern zu kaufen. Zur sozialen Dimension sei zu sagen, daß die
>europäische Integration für mich nicht irreversibel ist, sondern an zwei
>wesentlichen Punkten scheitern kann: Widerspruch zur Demokratie und
>Widerspruch zu sozialen Forderungen. Daher brauchen wir neben einer
>gemeinsamen Wirtschaftspolitik, auch eine harmonisierte Sozial-, Steuer-
>und Finanzpolitik.
>
>TNF: Wie sollen dieses in Ansätzen föderal-republikanische System jenen
>Staaten schmackhaft gemacht werden, die nicht in der Tradition
>Deutschlands oder Österreichs stehen?
>
>V: An dieser Frage kann der Konvent scheitern. Man wird es nur dann
>schmackhaft machen können, wenn als Ziel des Konvents nicht die Frage der
>Finalität, also Bundesstaat oder Staatenbund, steht, sondern wenn die
>europäische Demokratie im Zentrum steht. Daher auch mein dringender Appell
>an die Föderalisten, nicht den europäischen Bundesstaat ins Zentrum der
>Verfassungsdebatte zu rücken. Wer das tut verliert und vernichtet jeden
>Ansatz einer europäischen Verfassung. In der Frage der Finalität gibt es
>derzeit keine Chance auf Einigung. Es gibt ja nicht einmal klare,
>einheitliche Begriffsdefinitionen. Den Föderalisten wird leider
>vorgeworfen in der Debatte zwischen Demokratie und Zentralisierung immer
>für letztere Partei ergriffen zu haben. Die zentrale Idee des Konvents muß
>also die Demokratisierung sein. Gleichgültig welche Kompetenzen, welchen
>Zentralisierungsgrad die europäische Integration erreichen soll, muß jede
>Art von Herrschaft auf europäischer Ebene demokratisch sein. Die
>europäische Verfassung sollte nicht als Krönungswerk der weiteren
>Integration, sondern als Voraussetzung betrachtet werden. Wir brauchen die
>Akzeptanz und demokratische Legitimation, das Vertrauen der Bevölkerung.
>Darauf aufbauend kann in Ruhe über die weitere Entwicklung nachgedacht werden.
>
>TNF: Manche Vertreter der laufenden Debatte stellen einer verstärkten
>Integration Europas die Möglichkeit gegenüber, die Probleme auf Basis
>multilateraler Verträge zu lösen. Wie sehen sie diesen Ansatz?
>
>V: Zum einen sind jene Institutionen, die auf dieser Konstruktion
>basieren, stark von Hegemonie beeinflußt. Der politischen Vormachtstellung
>einzelner ist man hier weit über den Bereich der Staaten hinaus
>ausgeliefert. Zweitens lösen sie politische Probleme nur dann, wenn
>funktionierende politische Gebilde auf sie eingehen. Und schließlich geht
>es um die Bildung eines politischen Körpers, den die Menschen weitgehend
>selbst verwalten können. Internationalen Beziehungen sind Domänen von
>Exekutiven. Demokratie ist hier definitionsgemäß an letzter Stelle und
>Legitimationsketten sind noch brüchiger als in der EU. Außerdem dominieren
>hier ökonomische Interessen enorm. Eine Ablöse nationalstaatlicher
>Strukturen durch internationale Regime würde daher ein Demokratiedesaster
>und eine noch größere Hegemonie wirtschaftlicher Interessen hervorrufen.
>
>TNF: Soll Europa also zur Sprache der internationalen Ökonomie, eine
>Sprache der Demokratie beisteuern?
>
>V: Internationale Beziehungen sind keine selbststeuernde Prozesse, sondern
>sie bedürfen starker Akteure. Es gibt ein europäisches
>Zivilisationsmodell, das uns sehr stark von den USA unterscheidet. Der
>Unterschied liegt nicht nur im ökonomischen und sozialen Bereich, sondern
>vor allem auch in Europas Position in der Welt als solcher. Unsere
>Beziehungen zu Rußland, Afrika und der islamischen Welt unterscheiden sich
>frappant. Auch vor dem 11.September habe ich immer darauf verwiesen, daß
>wir ein anderes Verhältnis zum Islam haben müssen. Wenn die Türkei der EU
>beitritt, sind wir Nachbarn des Irak nur um die geopolitische Dimension
>klar zu machen.
>Wenn wir dieses Modell in die internationalen Beziehungen einbringen
>wollen, begonnen von Menschenrechten bis zu sozialen Dimensionen im
>Welthandel, Umweltfragen, usw., dann brauchen wir eine starke gemeinsame
>Position.
>
>TNF: Vermissen Sie nicht für eine konstruktive Diskussion ein
>intelligentes antieuropäisches Lager?
>
>V: Ich warne sehr davor, das antieuropäische Lager für unintelligent zu
>halten. Vor allem speist es sich aus sehr unterschiedlichen Quellen.
>Europa ist ein Maskenball und nationale Identitäten treten in den
>überraschendsten Verkleidungen auf. So erklärt Joschka Fischer die Nation
>zur letzten Identität jedes Europäers. Die Regierungen glauben unter dem
>Mantel nationaler Identität die Macht der Exekutive verteidigen zu können.
>Sie wollen gleichzeitig Verwaltung, Gesetzgebung und Verfassungsgeber
>Europas sein. Parlamente werden auf nationaler Ebene beständig geschwächt
>und gegen das europäische Parlament ausgespielt. Wenn behauptet wird, eine
>europäische Demokratie würde die nationalen Parlamente schwächen ist das
>ja völlig absurd, weil unsere Zuständigkeit nur dort gestärkt würde, wo
>die nationalen Parlamente längst ihre Zuständigkeit verloren haben. Als ob
>nationale Parlamente Einfluß auf die Kontrolle der zweiten und dritten
>Säule hätten, nationale Gerichte europäische Grundrechte garantieren
>könnten, gegenüber Europol, gegenüber Schengen. Das ist nicht einmal
>lächerlich!An dieser Egomanie der Reichsfürsten könnte also wieder einmal
>die Einigung Europas scheitern. Seit der französischen Revolution haben
>sich die europäischen Exekutiven noch nie so sehr dem Zähmungswerk der
>Abgeordneten entzogen, wie in der Europäischen Union. Der einzige Ansatz,
>dem sie machtlos gegenüber stehen, ist die Demokratie.
>
>TNF: Wer sind unsere Verbündeten?
>
>V: Auch sehr viele! Es besteht zwar immer die Möglichkeit eines Scheiterns
>des Konventes. Meine Hoffnung besteht aber in der Entwicklung einer
>parlamentarischen Dynamik. Auch die Vertreter der nationalen Regierungen
>werden sich des Charakters dieses Verfassungs-konvents bewußt werden. Die
>Parlamentarier haben die Öffentlichkeit als starke Machtbasis. Die
>Verbindlichkeit der Grundrechtscharta ist in Nizza nur knapp gescheitert,
>aber schon jetzt steht dieser Punkt wieder auf der Tagesordnung des
>Konvents. Die Dynamik ist nicht abbremsbar.
>
>TNF: Wie können die Bürger Europas in die Entwicklung stärker eingebunden
>werden?
>
>V: Vor allem durch die Herstellung von Entscheidungsfähigkeit. Europa muß
>durch die Bürger gemacht werden, nicht nur verstanden und akzeptiert. Wir
>müssen klare Fragen stellen, wie „Willst du eine soziale Dimension
>Europas?“, „Willst du Demokratie in Europa?“, „Soll das Recht durch
>gewählte Vertreter, oder durch Regierungen gesetzt werden“. Die
>europäischen Bürger werden darüber sehr klare Vorstellungen haben.
>
>TNF: Worin sehen sie die besondere Stärke des Europäischen Parlamentes?
>
>V: Das EP ist zwar noch immer kein vollwertiges Parlament, aber trotzdem
>das mächtigste in ganz Europa. Auch die Besonderheit, nicht in dem
>typischen Abhängigkeitsverhältnis zu einer Regierung zu stehen, stärkt die
>erfolgreiche Arbeit dieser Institution. Mittlerweile hat sich das EP auch
>als Rekrutierungsforum der nationalen Regierungen etabliert.
>
>TNF: Soll man sich aktiv um die Ausbildung einer europäischen Identität
>bemühen?
>
>V: Nein, denn auch positiver europäischer Nationalismus ist abzulehnen.
>Der Zusammenhalt Europas sollte nicht auf der üblichen nationalistischen
>Symbolik basieren. Diese würde zu positiver Ausgrenzung führen und das
>Gefühl eines Superstaates, eines aufgeblähten Nationalstaates verstärken.
>Das Zusammengehörigkeitsgefühl wird von selbst entstehen.
>
>TNF: Wie sieht die Welt Europa?
>
>V: Für ein klares Bild fehlt eine wesentliche Voraussetzung: Wir wissen
>selbst noch nicht, wie wir uns sehen wollen.
>
>TNF: Mehrere Proponenten der Zukunftsdebatte fordern die Schaffung eines
>Kerneuropa, das die Integration beschleunigt vorantreibt. Wie stehen sie
>zu diesem Aspekt?
>
>V: Was geschieht in solch einer Avant Garde denn wirklich? Einige wenige
>Staaten würden weniger die Geschwindigkeit, als die Richtung der
>Integration vorgeben. Die nachfolgenden müßten dieses System ungefragt
>akzeptieren. Eine solche Entwicklung würde wohl mit Sicherheit die Zweifel
>der europäischen Bürger am Gesamtgebilde EU noch verstärken.
>
>Jan Seifert
>Stellv. Bundesvorsitzender
>
>national FC representative
>Vice-President JEF-Germany
>
>mailto:jan.seifert@jef.de
>GSM +49 173 2183338
>Fax +49 89 2443 36160 o. +49 30 28092894 (PCfax)
>Fon +49 30 280 404 75
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>JEF Deutschland
>Haus der Demokratie und Menschenrechte
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