[Fwd: Die Rede von Stoiber]

From: Florian Rodeit (florian@rodeit.de)
Date: Mon Nov 12 2001 - 12:32:17 CET


Jan Kreutz schrieb:

> Hi JEF, etwas verspätet kommt mein Bericht über die Rede von Stoiber.
> Wie viele von euch wissen, hat er ja versucht, seine Rede vor der
> Humboldt-Uni und ihren Studenten vorzutragen. Da die Polizei die
> Sicherheit allerdings nicht garantieren konnte verlegte er die Rede in
> die Bayrische Landesvertretung und redete für die Presse und
> Botschafter. Angesichts einiger Äußerungen von ihm vor einigen Jahren
> und aber auch noch vor einigen Monaten, wirkte seine Rede diese Woche
> pro-europäischer. Folgend versuche ich die wichtigsten Punkte seiner
> "Eckpunkte des europäischen Reformprozesses" zusammenzufassen. Stoiber
> betont, dass die Anforderungen an Europa seit dem 11. September noch
> größer geworden sind. Er kritisiert das Auftreten der Staats- und
> Regierungschefs als "nationale" und nicht als "europäische"
> Repräsentanten. Er mahnt eine wirklich gemeinsame Aussen- und
> Sicherheitspolitik an. Er fordert, dass Europa nach aussen geschlossen
> auftreten müsse und "eine Straffung der aussenpolitischen
> Zuständigkeiten der EU". Weiterhin sagt er, dass die EU als Ständiges
> Mitglied im Sicherheitsrat mehr Gewicht hätte, als Großbritanien und
> Frankreich zusammen. Er spricht sich für einen schnellen Aufbau
> europäischer Krisenreaktionskräfte aus. Über den Einsatz von Soldaten
> müssen laut ihm aber weiterhin die Nationen entscheiden. Weiterhin
> hält er eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der "Inneren
> Sicherheit" für notwendig. Er spricht sich für weitere Stärkung von
> Europol und Eurojust aus und schlägt einen europäischen Haftbefehl
> vor. Eine europäische Staatsanwaltschaft hält er allerdings für nicht
> sehr sinnvoll. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit der Frage der
> Zukunft der EU. "Europa muss sich mit der Frage befassen, wohin die
> weite Reise gehen soll. Was sind angesichts der gewandelten
> Verhältnisse unsere Interessen? Erweiterung der EU und Vertiefung der
> Integration, ist das vereinbar? Wer macht was in Europa?" Ich denke
> vor allem die Frage wo die Reise hin gehen soll, ist auch in der JEF
> noch nicht so ganz klar und erfordert noch einige Diskussionen. Dabei
> spricht er die Erweiterung an und bezieht sich auf eine Studie der
> Dresdner Bank, nach der die Erweiterung weit über 50 Milliarden Euro
> Kosten würde. Ich persönlich halte diese Zahl für völlig übertrieben,
> und kenne wesentlich niedrigere Zahlen. Allerdings betont er, dass aus
> diesen Gründen sowohl die Strukturfonds, als auch die Agrarpolitik
> reformiert werden müssen. Bezüglich der Strukturfonds schlägt er vor,
> das System so zu ändern, dass die Reichen die Armen fördern (aus einem
> Solidaritätsfonds), allerdings die reicheren Regionen keine Gelder
> mehr aus Töpfen erhalten, in die sie bereits vorher einbezahlt hatten.
> Darüberhinaus fordert er, dass Nationen mehr Rechte bekommen eigene
> Förderungen für arme Gebiete einzuführen. Dahinter steht sicherlich,
> die Beiträge Deutschlands am Gesamteinkommensvolumen der EU zu senken.
> Obwohl Stoiber hier etwas polemisch wurde und von unvereinbarer
> "Beitragslast" sprach, ist es sicherlich wichtig Reformen in diesen
> beiden Gebieten (Agrar- und Strukturpolitik) anzustossen. Schwerpunkt
> seiner Rede bildet (nicht sehr überraschend) die Frage der
> Kompentenzverteilung. Er redet von einer "inneren Deregulierung der
> EU" und einer "Teilweisen Rückübertragung von Kompetenzen auf die
> Mitgliedsstaaten". Dabei geht er weit über das hinaus, was Redner vor
> ihm erwähnten und wagt sich als erster daran, einige Bereiche und ihre
> Kompetenzabgrenzung zu benennen. Für ihn muss Europa "den Dreiklang
> EU, Mitgliedstaat und Region berücksichtigen". Für ihn steht Europa
> nicht über der Region und der Nation, sondern neben ihnen und erfüllt
> die Aufgaben, welche MItgliedsstaaten und Regionen nicht leisten
> können.Als Europäische Kernkompetenzen benennt er:- Aussen-,
> Sicherheits- und Verteidigungspolitik- eine einheitliche
> Aussenvertretung und gemeinsame Währung- eine reformierte
> Agrarpolitik- Rechtspolitik, innere Sicherheit, Verkehr,
> Infrastruktur, Umwelt- und GesundheitsschutzInteressant ist, dass er
> hier die Strukturpolitik oder eine Art solidarischen Finanzausgleich
> gar nicht mehr benennt und auch andere wichtige Themen fehlen
> (wirtschaft ...) Er spricht sich dagegen aus, das es gemeinsame
> Steuersysteme und Sozialsysteme gibt. Der Gedanke einer europäischen
> Sozialpolitik sei "grundfalsch". Auch beim Binnenmarkt mische sich
> Europa in Bereiche ein, wo es nichts zu suchen hätte. "Eine
> weitgehende Harmonisierung der direkten Steuern in der EU" lehnt er
> ab. Während er bei Asyl- und Flüchtlingspolitik ein europäisches
> Vorgehen fordert, sollte die Einwanderungspolitik allein in nationaler
> Hand liegen. Er kann allerdings nicht wirklich definieren, wie diese
> Kompetenzen festgeschrieben werden sollen. Er spricht sich gegen eine
> Zweiteilung der Verträge in Primärrecht und Sekundärrecht spricht sich
> aber nicht eindeutig für einen Kompetenzkatalog aus, und seine
> Äußerungen zeigen eigentlich auch, dass er keinen Katalog will. Auf
> meine Frage, inwiefern denn der Konvent bei der Kompentenzdebatte eine
> Rolle spielen soll und wie die Kompetenzen im Grundlagenvertrag (das
> ist sein Wort, welches er anstatt einer Verfassung benutzt)
> festgeschrieben werden sollen, wenn es keinen Katalog und keine
> Zweiteilung der Verträge geben soll hat er nicht klar geantwortet. Der
> Konvent solle darüber natürlich viel diskutieren und die Kompetenzen
> sollen in diesen Vertrag festgeschrieben werden, die Frage in welcher
> Form das passieren soll blieb er mir allerdings schuldig. Allerdings
> hat er einen zweiten wichtigen Vorschlag gebracht: Er forderte das die
> Zwischenstände des Konvents oder zumindest das endgültige Resultat vom
> Volk in einem europäischen, aber national organisiertem Referendum
> abgestimmt werden. Damit gehört er zu den ganz wenigen wichtigen
> europäischen Politikern, die sich für ein Referendum aussprechen. Zum
> Konvent sagte er noch, dass es eine breite öffentliche Debatte über
> die Ergebnisse des Konvents geben müsse. Dabei machte er ähnliche
> Vorschläge wie am nächsten morgen Michael Roth MdP (Lutz Hager, Jan
> Seifert und ich hatten mit ihm ein Gespräch über den Konvent):
> Anhörungen, öffentliche Foren und viel PR. Zu institutionellen
> Reformen sagt er auch einiges, so fordert er beispielsweise das
> Initiativrecht für EP und Rat. Er lehnt eine Kammer aus nationalen
> Abgeordneten ab, äußert sich aber nicht detailiert über das Dreieck
> Kommission-Rat-EP. Allerdings fordert er grundsätzlich im Rat mit
> Mehrheit zu entscheiden, sagt aber nicht welche Mehrheit und knüpft
> diese Forderung an die Forderung nach klarer Kompetenzabgrenzung.
> Darüber hinaus kann er sich durchaus einen "europäischen
> Spitzenkandidaten" für den europäischen Wahlkampf vorstellen, die
> Kommission sollte die politisch verantwortliche Exekutive sein. Diese
> Vorschläge sind aber alle nicht sehr durchdacht. Er redet
> beispielsweise nicht davon, wie die Kommission gewählt werden soll,
> man kann sich höchstens denken, dass er die irgendwie mit der EP-Wahl
> verknüpfen will, da es ja sonst nicht zu Spitzenkandidaten kommen
> würde. Am Schluss redet er noch davon, dass im Bereich der
> intergouvernementalen Zusammenarbeit weiterhin einstimmig entschieden
> werden muss. Wo intergouvernmental gearbeitet werden muss, erwähnt er
> aber nicht, redet auch nicht von der Notwendigkeit einer Abkehr vom
> intergouvernmentalen System, wie die JEF es fordert. Nochmal
> Zusamenfassend: Er geht bezüglich der Kompetenzen weiter als andere
> Politiker und macht als erster Vorschläge für einzelne
> Politikbereiche. Er mahnt Änderungen der Agrar- und Strukturpolitik
> an. Er betont die Notwendigkeit einer Vergemeinschaftung der Aussen-
> und Sicherheitspolitik und der Innen- und Jusitzpolitik. Er spricht
> sich für ein Referendum über das Ergebnis des Konvents aus. Alles in
> allem ist die Rede nicht unbedingt europaskeptisch, doch sie hat vor
> allem ein Ziel: er möchte mit allen Mitteln eine klare
> Kompetenzabgrenzung. Mit dieser Forderung scheint Deutschland im
> Moment allerdings mehr oder weniger alleine da zu stehen. Ich warte
> auf eure Kommentare Föderalistische Grüße Jan Kreutz
>
> *****************************************
>
> Jan Kreutz
>
> jan.kreutz@web.de
>
> Vice-President JEF-Germany
>
> National FC-Member of JEF-Germany
>
> Tel: ! New Mobile Number !
>
> +49 172 3282746(mobile)
>
> +49 30 8523576 (Berlin)
>
> *****************************************
>



This archive was generated by hypermail 2.1.2 : Mon Nov 12 2001 - 12:27:08 CET