Subject: Das Interview
From: Martin Schulze (joey)
Date: Wed Jan 19 2000 - 04:21:04 CET
So, ich habe mir einen Wolf geschrieben. Wenigstens bin ich danach
noch zu einem Teil dessen gekommen, was ich eigentlich machen wollte.
Hier sind das Interview und die Antworten.
[LinuxTag] Zuerst zu Deiner Person, wie würdest Du Deine Aufgabe
innerhalb des Debian-Projekts beschreiben?
[Antwort] Das ist schwierig. Ich stecke fast in allen Aufgaben
irgendwie mit drin. Angefangen habe ich auf jeden Fall als normaler
Entwickler, der um sein Paket kämpfen mußte. Das ist aber schon
rund 4-5 Jahre her. Seit dem hat sich einiges getan und ich habe
verschiedene Teams aufgebaut. Für das Interview am wichtigsten ist
wohl meine Mitgliedschaft im Presse Team, man kann mich also als ein
Pressesprecher (von dreien) bezeichnen.
[LinuxTag] Da ja jetzt "feature freeze" für die neue Version von
Debian GNU/Linux ist, stellt sich natürlich die Frage, wann wir mit
der neuen Version rechnen können.
[Antwort] In der Pressemitteilung[1] habe ich den Release Manager
Richard Braakman zitiert, der von einer Dauer von zwei Monaten
ausgeht. Demnach wird die neue Version 2.2 Mitte März freigegeben.
Der Termin sollte eigentlich auch haltbar sein, wenn nichts
unvorhergesehenes mehr passiert. Zum LinuxTag gibt es sie auf jeden
Fall.
[LinuxTag] Was sind die herausragendsten Änderungen zur
Vorgängerversion 2.1?
[Antwort] Die wohl sichtbarsten Änderungen betreffen den Umfang des
Systems. Es ist eine lange Zeit seit der Freigabe von der Version
2.1 vergangen, so daß viele neue Software-Pakete aufgenommen wurde.
Dazu gehören auf jeden Fall eine ganze Reihe von lang ersehnten
Anwendungsprogrammen für grafische Oberflächen.
Eine weitere sichtbare Änderung ist die Einführung von »debconf«.
Hinter diesem Namen verbirgt sich ein mächtiges Werkzeug, mit dessen
Hilfe die Konfiguration von Paketen vereinfacht wird. Zum einen
sind die Abfragen einheitlich, zum anderen wählt man aus, wie sie
dargestellt werden sollen (text, dialog, X11) und letztendlich läßt
sich die Konfiguration auf diese Weise sogar vor die eigentliche
Installation verschieben.
Weniger sichtbar sind einige interne Änderungen. Das Frontend zur
Paketverwaltung »apt-get« wurde erheblich erweitert, hinzugekommen
ist z.B. die Möglichkeit, mit einem Befehl den Quellcode zu einem
Paket aus dem Internet zu ziehen und zu installieren. Hinzu kommt
ein weiteres Frontend dazu, »capt« hat zum Ziel, einfacher als die
bisherige Oberfläche zur Paketverwaltung zu sein.
Debian GNU/Linux 2.2 wird zudem mit neuem Kernel (2.2.x) und neuer
glibc (2.1) ausgeliefert. Debians "potato" (so der Code-Name) war
die erste Distribution, die mit dieser Version der glibc gearbeitet
hat, inzwischen ist sie Standard auf allen wichtigen Distributionen.
[LinuxTag] Wie ist denn die Tendenz bei den freiwilligen Helfern! Hat
Debian Nachwuchssorgen? Werden noch Helfer benötigt?
[Antwort] Nachwuchssorgen haben wir nicht. Debian ist ein
gemeinnütziges Projekt, das durch die Distribution seine Reputation
erhalten hat. Der gemeinnützige Charakter und die einfache
Möglichkeit der Mitarbeit, ohne nämlich ein eigenes Projekt oder
Software-Paket aufbauen zu müssen, ermöglicht es vielen Benutzern,
an dem Projekt mitzuarbeiten.
Helfer werden im Prinzip immer benötigt. Allerdings besteht der
Bedarf zur Zeit viel mehr in Leuten, die allgemein mitarbeiten oder
sich bestimmter Spezialgebiete, wie Dokumantation, Quality
Assurance oder Boot-Floppies annehmen.
[LinuxTag] Im Moment gibt es ja noch keine offiziellen KDE-Pakete in der
Debian-Distribution. Wird sich da etwas ändern?
[Antwort] Das hängt vom KDE-Projekt ab. Wir haben ihnen 1998
vorgeschlagen, die Lizenz von unter der GPL lizensierten
Programmteilen zu ergänzen oder zu ändern[2]. Das wurde damals
kategorisch abgelehnt - wohl auch vor dem Hintergrund, daß es eine
Heidenarbeit ist, von allen beteiligten Autoren das OK einzuholen.
Inzwischen gibt es eine neue Version 2.0 von Qt, der Bibliothek, die
von KDE für die Darstellung der Grafikelemente verwendet wird.
Diese verwendet eine neue Lizenz, die kompatibel mit unseren
Richtlinien für Freie Software[3] ist. Damit ist es es uns möglich,
sie in die Distribution aufzunehmen.
Problematischerweise wird Qt 2.0 weder von KDE durchgehend benutzt,
noch ist die Lizenz kompatibel mit der GPL. Als Folge dessen darf
die Bibliothek zwar jetzt als Teil von Debian GNU/Linux verteilt
werden, KDE ist allerdings aus unserer Sicht immer noch nicht
verteilbar, überhaupt nicht.
Das KDE-Projekt ist jedoch inzwischen dabei, die Lizenzen ihrer
Komponenten zu kontrollieren und die von uns vorgeschlagene Änderung
vorzunehmen (soweit ich weiß). Vielleicht wird woody wieder
KDE-Pakete enthalten.
[LinuxTag] Die Debian-Distribution unterscheidet sich ja in vielen
Punkten von anderen. Gerade die Installation stellt sich als
ziemlich eigensinnig heraus. Wird das so bleiben oder sind dort
Änderungen geplant?
[Antwort] Die eigentliche Installation ist im Prinzip sehr einfach,
einfacher als bei vielen anderen Distributionen. Das ist in der
neuen Installationsroutine noch verbessert.
Der schwierigste Teil beginnt jedoch nach der eigentlichen
Installation, wenn es in die Paketauswahl geht. Die Bedienung des
bisherigen Frontends »dselect« ist zugegebenermaßen
gewöhnungsbedürftig. Man kann sich jedoch daran gewöhnen und es
gibt auch eine ausführliche Beschreibung.[4]
Im laufenden Betrieb muß man sich nicht mehr mit »dselect«
auseinandersetzen, sondern kann alles mit »apt-get« erledigen. Für
komplette Upgrades des Systems ist »apt-get« dank ausgefeilter
Algorithmen sogar besser geeignet. Sehr einfach ist es damit zudem,
weitere (inoffizielle) Netzresourcen[5] hinzuzufügen.
[LinuxTag] Stichwort Administration. Während einige andere
Distributionen Tools entwickelt haben, um das System zu
administrieren, muß man bei Debian das System kennen. Gibt es da
Bestrebungen, z.B. Linuxconf oder COAS aufzunehmen?
[Antwort] Wir glauben nicht, daß man ein Unix-System mit einem
Konfigurationstool konfigurieren kann. Dafür ist es einfach zu
facettenreich und Konfigurationen können viel zu komplex und
verstrickt sein, als daß man dieses sinnvoll mit einem Tool
bearbeiten könnte. Linuxconf ist jedoch Teil der Distribution.
Wer ein Debian-System administriert, wird jedoch meistens
feststellen, daß Konfigurationsdateien einen festen logischen Platz
haben und daß Komponenten einen logischen Platz haben und nicht quer
über das System verstreut sind.
Um jedoch Konfigurationen abzuändern, muß man in der Tat die
Konfigurationsdateien manuell mit einem Editor bearbeiten. Im
Prinzip ist das auch gut, denn dem Administrator wird erst gar nicht
suggeriert, daß er das System per Klick-Klack administrieren
könnte.
[LinuxTag] Wird es die Version 2.2 nur für intel-basierte Rechner
geben?
[Antwort] Nein. Seit der Version 2.0 gibt es die Debian-Distribution
für mindestens eine weitere Architektur, nämlich für den
680x0-basierte Rechner (Atari, Amiga, Mac, VME-Rechner). Die
Version 2.1 gab es erstmalig zusätzlich für alpha- und
sparc-basierte Rechner. Für die Version 2.2 ist noch eine weitere
Architektur hinzugekommen: der PowerPC.
Für die nach 2.2 folgende Distribution darf man ebenfalls gespannt
sein, denn der Port auf ARM-Prozessoren kommt stark voran.
Darüberhinaus wurden Ports auf MIPS- und MIPSEL-Prozessoren begonnen
und es wird über IBMs S390 nachgedacht, genauso PA-RISC von HP. Mit
woody wird Debian sicherlich auch verstärkt in den
Mikrocontrollerbereich Einzug finden.
[LinuxTag] Du hast die Namen "potato" und "woody" verwendet, was hat
es damit auf sich?
[Antwort] Jede Version von Debian GNU/Linux erhält einen Codenamen.
Dieser Name besteht lange bevor klar ist, ob die nächste Version die
Versionsnummer an erster oder zweiter Stelle hochzählt (2.3 oder
3.0). Das sind quasi unsere Arbeitsnamen, für die auch auf den
FTP-Servern entsprechende Verzeichnisse angelegt wurden.
Die Namen stammen aus dem Zeichentrickfilm "Toy Story". Unser
damaliger Projektleiter, Bruce Perens, arbeitete in den Pixar
Animation Studios, die den Film hergestellt haben. Da hat es sich
ergeben, daß die Charaktere aus dem Film als Codenamen recyclet
wurden[6]. Woody ist der Cowboy.
[LinuxTag] Glaubt Ihr, daß die Distribution von Corel, die ja auf Debian
basiert, der Debian-Distribution einen Publicity-Schub bringen kann?
[Antwort] Hier kann ich ein klares "Ja" geben. Es gibt viele Leute,
die sich mit »dselect« schwer tun. Diese Leute haben dank Corel die
Möglichkeit, eine Version von Debian GNU/Linux zu installieren und
anschließend mit »apt-get« weiterzuarbeiten.
Corel Linux ist noch aus einem anderen Grund sehr interessant für
uns, denn die Zielgruppe ist eine, die wir sonst kaum erreichen
könnten. Corel Linux zielt ganz genau auf den zur Zeit von Windows
beherrschten Markt ab.
[LinuxTag] Ist das Vorhandensein von Softwarepatenten in den USA und die
geplante Einführung von Softwarepatenten in Europa eine Gefahr für
Debian? Prüft Debian nach, ob Softwarepakete nicht nur "frei", sondern
auch frei von Patenten sind?
[Antwort] Softwarepatente so wie sie zur Zeit geplant sind, sind auf
jeden Fall eine Gefahr für Freie Software. Wenn es so kommt, wie es
vorgesehen ist, können Firmen einfachste Algorithmen oder Ideen als
Patent anmelden und damit anderen verbieten sie zu verwenden, auch
wenn sie absolut gar nichts mit der Firma zu tun haben.
So hat Amazon in Amerika z.B. ein Patent auf das Bestellen von Waren
über Mausklicks. Solange solche Patente möglich sind, die
Basistechnologien beschreiben, sind sie eine große Gefahr für die
gesamte Branche, nicht nur Freie Software betreffend.
Wir bedanken uns für das Gespräch.
[1] http://www.debian.org/Lists-Archives/debian-announce-00/msg00000.html
[2] http://www.debian.org/News/1998/19981008
[3] http://www.debian.org/social_contract
[4] http://www.infodrom.north.de/Debian/2.1/ch-DselectTutorial.html#s9.1
[5] http://www.internatif.org/bortzmeyer/debian/apt-sources/index-list.html
[6] http://www.Infodrom.North.DE/Debian/codenames.html
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Folgende Frage(n) gestrichen:
[LinuxTag] Wie ist den im Allgemeinen die Unterstützung von Unternehmen aus
dem GNU/Linux-Umfeld für das Debian-Team?
[Antwort] Diese Frage kann ich nicht beantworten, da die meisten
Unternehmen nicht mit uns in Kontakt treten. Mit den Firmen, mit
denen wir jedoch zusammenarbeiten, bestehen normalerweise gute
Kontakte. Das sind zum einen unsere direkten Sponsoren, die uns
z.B. mit IP-Bandbreite oder Rechnern versorgen und zum anderen
CD-Hersteller, die an unseren Dachverband SPI spenden und die wir
um Rezenzexemplare bitten können.
>>> Grund: Die Frage ist blöd. Im Allgemeinen treten Unternehmen
nicht an uns heran, ergo kann man die Frage gar nicht beantworten.
Gruesse,
Joey
-- Computers are not intelligent. They only think they are.
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