Andreas Kotes (count@linux.de)
Thu, 10 Dec 1998 15:46:19 +0100 (MET)
Alle Jahre frueher
oder: die Eskalation der Besinnlichkeit
Montag; 6. Oktober:
Schoenster Altweibersommer - Noch einmal Menschen in T-Shirt und
Sandalen in den Strassencafes und Biergaerten. Bisher keine besonderen
Vorkommnisse in der Schlossstrasse.
Dann ploetzlich um 10:47 Uhr kommt der Befehl von Aldi-Geschaeftsfuehrer
Erich B.: "5 Paletten Lebkuchen und Spekulatius in den Eingangsbereich!"
Von nun an ueberschlagen sich die Ereignisse. Zunaechst reagiert
Minimal-Geschaeftsfuehrer Martin O. eher halbherzig mit einem
erweiterten Kerzensortiment und Marzipankartoffeln an der Kasse.
15:07 Uhr: Edeka-Marktleiter Wilhelm T. hat die Mittagspause genutzt und
operiert mit Lametta und Tannengruen in der Wurstauslage.
16:02 Uhr: Die Filialen von Penny und Reichelt bekommen Kenntnis von der
Offensive, koennen aber aufgrund von Lieferschwierigkeiten
nicht gegenhalten und fordern ein Weihnachtsstillstands-
Abkommen bis zum 10. Oktober. Die Gespraeche bleiben ohne
Ergebnis.
Dienstag; 7. Oktober:
07:30 Uhr: Im Eingangsbereich von Karstadt bezieht ueberraschend ein
Esel mit Rentierschlitten Stellung, waehrend 2 Weihnachts-
maenner vom studentischen Nikolausdienst vorbeihastende
Schulkinder zu ihren Weihnachtswuenschen verhoeren.
Zeitgleich erstrahlt die Kaufhausfassade im gleissenden
Schein von 260.000 Elektrokerzen. Die geschockte Konkurrenz
kann zunaechst nur ohnmaechtig zuschauen. Immerhin haben
jetzt auch Wertheim, Bolle und Minimal den Ernst der Lage
erkannt.
Mittwoch; 8.Oktober:
09:00 Uhr: Edeka setzt Krippenfiguren ins Gemuese.
09:12 Uhr: Minimal kontert mit massivem Einsatz von Rauschgoldengeln im
Tiefkuehlregal.
10:05 Uhr: Bei Reichelt verirren sich dutzende Kunde in einem Wald von
Weihnachtsbaeumen.
12:00 Uhr: Neue Dienstanweisung bei Bolle: An der Kaesetheke wird mit
sofortiger Wirkung ein "Frohes Fest" gewuenscht. Die
Schlemmerabteilung von Wertheim kuendigt fuer den Nachmittag
Vergeltungsmassnahmen an.
Donnerstag; 9. Oktober:
07:00 Uhr Karstadt schaufelt Kunstschnee in die Schaufenster.
08:00 Uhr: In einer eilig einberufenen Krisenversammlung fordert der
aufgebrachte Penny-Geschaeftsfuehrer Walter T. von seinen
Mitarbeitern lautstark: "Weihnachten bis zum AEussersten" und
verfuegt den pausenlosen Einsatz der von der Konkurrenz
gefuerchteten CD: "Weihnachten mit Mirrelle Matthieu" ueber
Deckenlautsprecher. Der Nachmittag bleibt ansonsten ruhig.
Freitag; 10. Oktober:
08:00 Uhr: Anwohner der Schlossstrasse versuchen mit Hilfe einer
einstweiligen Verfuegung die nun von Wertheim angedrohte
Musikoffensive "Heiligabend mit den Flippers" zu stoppen.
09:14 Uhr: Ein Aldi-Sattelschlepper mit Pfeffernuessen rammt den
Posaunenchor "Adveniat", der gerade vor Karstadt zum grossen
Weihnachtsoratorium ansetzen wollte.
09:30 Uhr: Aldi dementiert. Es habe sich bei der Ladung nicht um
Pfeffernuesse, sondern Christbaumkugeln gehandelt.
18:00 Uhr: In der Stadt kommt es kurzfristig zu ersten Engpaessen in der
Stromversorgung als der von Tengelmann beauftragte Rentner
Erwin Z. mit seinem Flak-Scheinwerfer Marke "Varta
Volkssturm" den Stern von Bethlehem an den Himmel zeichnet.
Sonnabend; 11. Oktober:
Die Fronten verhaerten sich; die Strategien werden zunehmend aggressiver.
10:37 Uhr: Auf einem Polizeirevier meldet sich die Diabetikerin Anna K.
und gibt zu Protokoll, sie sei soeben auf dem Bolle-Parkplatz
zum Verzehr von Gluehwein und Christstollen gezwungen worden.
Die Beamten sind ratlos.
12:00 Uhr: Seit gut einer halben Stunde beschiessen Karstadt, Edeka und
Minimal die Einkaufszone mit Schneekanonen. Das Ordnungsamt
mahnt die Raeum- und Streupflicht an. Umsonst!
14:30 Uhr: Teile des Stadtbezirks sind unpassierbar. Eine
Hubschrauberstaffel des Bundesgrenzschutzes beginnt mit der
Bergung von Eingeschlossenen. Menschen wie Du und ich, die
nur mal in der schoenen Herbstsonne bummeln wollten.
Na dann frohe Weihnachten. ;)
der Count
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