From: David Schneider-Addae-Mensah (addaeme@yahoo.de)
Date: Thu Jun 27 2002 - 20:46:35 CEST
Liebe JEFer,
anbei ein Bericht von mir von der NGO-Anhörung von
Bundestag und Bundesrat gestern in Berlin, an dem auch
die JEF teilngenommen hat:
Gemeinsame Sitzung der Europaausschüsse von Bundestag
und Bundesrat am 26.06.2002
Plenarsaal des Abgeordnetenhauses Berlin
Thema: Anhörung zivilgesellschaftlich relevanter
Gruppen zum Europäischen Verfassungskonvent
Bericht
Das ganztägige Hearing (10-18 Uhr) bestand aus zwei
etwas nebulös getrennten Teilen. Der erste behandelte
„Stärkung der Demokratie in Europa“, der zweite, am
Nachmittag abgehandelte Themenblock war mit
„Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der erweiterten
Europäischen Union“ überschrieben. Der erste Teil
stellte dabei einen Rundumschlag zur Verfassung von
Verfassung – Verfassungsvertrag angefangen, über die
Stärkung von EP und Kommission bis hin zur Rolle der
„nationalen Parlamente“ und der Frage eines
abschließenden Referendums dar.
Entsprechend diesem Aufbau wurde vorab ein Fragebogen
an die teilnehmenden NGOs verschickt.
Der zweite Themenblock betraf im wesentlichen die
Frage der Kompetenzen, wiederholte aber auch nochmals
relativ ausladend die bereits am Vormittag behandelte
institutionelle Problematik.
Der Vormittagsblock zur Demokratie wurde eingeläutet
mit einführenden Statements von
BT-Europaausschußvorsitzendem Dr. Friedbert Pflüger
und den Konventsmitgliedern Prof. Dr. Jürgen Meyer und
Peter Altmaier (beide MdB).
Meyer wirft die Frage auf, welche Gremien auf
europäischer Ebene überhaupt erhalten werden sollten.
Er focussiert die Veranstaltung auf die Fragen:
· Wahl des EU-Präsidenten/Kommissionspräsidenten
· Rolle der „nationalen Parlamente“
· Referendum über das Ergebnis
Der Gedanke mehr Demokratie in die Verfassung zu
bekommen, werde über die zeitliche Arbeit des Konvents
hinausgehen so Meyer.
Altmaier sagte, „wir laufen derzeit im Konvent ein
bißchen im dunklen Wald“. Das liege an dem relativ
weiten bzw. nicht weiter konkretisierten Mandat des
Konvents.
Der Konvent müsse sich daher auf einige wesentliche
Kernbereiche beschränken, so:
· Demokratie
· Rolle der „nationalen Parlamente“
· Referendum
Nach diesen Einführungen erhalten insgesamt 14
Vertreter der Zivilgesellschaft das Wort.
Der Vertreter der Bertelsmann-Stiftung etwa spricht
sich für die Parlamentarisierung der EU-Kommission
aus, indem der Spitzenkandidat der obsiegenden
Liste/Listenbündnis auch Kandidat für das Amt des
Kommissionspräsidenten ist.
Er ist allerdings auch für die Entsendung nationaler
Abgeordneter in den Rat und gegen ein Referendum über
das Ergebnis der Konventsarbeit.
Die BAG der Freien Wohlfahrtspflege fordert u. a. die
Aufnahme einer sozialen Zielbestimmung in den Vertrag
und die Institutionalisierung der Konventsmethode für
künftige Vertragsänderungen.
Die kommunalen Spitzenverbände fordern ein eigenes
Kapitel der lokalen Gebietskörperschaften im
revidierten Vertrag und i. ü. eine Stärkung auch der
regionalen Gebietskörperschaften.
Der DGB sieht die in der vom vorab verschickten
Fragebogen aufgeworfene Frage einer Zweiteilung der
Verträge kritisch. Unterschiedliche
Ratifikationsverfahren für die beiden Verträge könnten
zu einer vermehrten Bildung europäischer Kompetenzen
und ihre Einbeziehung im vereinfachten Verfahren in
den technischen Vertrag, letztlich also zur
Aushebelung des Prinzips der begrenzten
Einzelermächtigung führen.
Für Vertragsänderungen befürwortet der DGB auch
künftig die Konventsmethode, freilich unter
Beibehaltung des völkerrechtlich notwendigen
innerstaatlichen Ratifikationsverfahrens.
Eine weitere Kammer nationaler Abgeordneter auf
EU-Ebene lehnt der DGB ab.
Der DIHT fordert ein ausgewogeneres Wahlrecht sowie
europaweite Listen. Er befürwortet auch ein Referendum
über das Konventsergebnis, um den europäischen
Gedanken in die Bevölkerung und die Unternehmen zu
tragen.
Der Deutsche Naturschutzring legt seinen Schwerpunkt
verständlicherweise auf den Schutz von Natur und
Umwelt durch eine europäische Verfassung, wirkt damit
aber in der hier behandelten institutionellen Thematik
etwas deplaziert.
Die EUD, vertreten in der Sitzung durch
Generalsekretär Axel Schäfer appelliert für die
Beibehaltung der Integrationsdynamik und der föderalen
Balance. I. ü. kann sich Axel Schäfer mit Vorgesagtem
recht gut anfreunden. Wichtig sei ein europaweites
Referendum über das Ergebnis der Konventsarbeit.
Dr. Mathias Jopp tritt für das Institut für
Europäische Politik insbesondere für ein
Zweikammerparlament bestehend aus Bürger- und
Staatenkammer ein.
JEF-Bundesvorsitzender David Schneider-Addae-Mensah
vertritt die bekannten JEF-Positionen mit der
Forderung nach einer weitgehenden instutuionellen
Umwälzung hin zu einem föderalen System der Bürger und
Staaten (siehe i. ü. attachment).
Eine qualitativen Sprung fordert auch der Vertreter
von „Mehr Demokratie“.
An die Statements schließt sich eine Fragerunde von
Mitgliedern des BT-Europaauschusses an.
Michael Roth (SPD) warnt zunächst vor einer „zu
deutsch geführten Debatte“ und will dann insbesondere
wissen, wie die nationalen Parlamente auf EU-Ebene
mandatiert werden sollen und wie sich (u. a. David
Schneider-Addae-Mensah sich) die Einbeziehung der
kleinen Mitgliedstaaten vorstellt.
Peter Hintze (CDU) fragt nach den Möglichkeiten eine
echte europäische Öffentlichkeit zu schaffen.
Christian Sterzing (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) hinterfragt
den Sinn europäischer Listen, insbesondere
hinsichtlich möglicherweise fehlender Bürgernähe und
denkt eine Mischung von europäischen, nationalen und
regionalen Listen an.
Außerdem fragt er nach dem Verhältnis der beiden
exekutiven Organe Rat und Kommission.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) fragt ob ein
eigenes Klagerecht der nationalen Parlamente vor dem
EuGH sinnvoll sei sowie nach der Notwendigkeit einer
Stärkung der Regionen.
Insgesamt kann ein weitgehender Konsens zwischen
NGO-Vertretern und Abgeordneten festgestellt werden,
was die Frage der Parlamentswahl des
EU-Kommissionspräsidenten und die Ablehnung einer
neuen „Kammer nationaler Abgeordneter betrifft.
In der Frage eines Referendums zeigt sich hingegen ein
gespaltenes Bild (pro insbesondere „Mehr Demokratie“,
DIHT, Europa-Union, JEF; contra Bertelsmann)
Im zweiten Teil nach der Mittagspause leiten wiederum
Meyer und Altmaier (die Namensübereinstimmung passe
gut, meint Vorsitzender Pflüger) ein. Altmaier spricht
sich für eine Protegierung der Methode Monnet zu
Lasten der Methode Metternich aus. Meyer hält einen
Kompetenzkatalog (wie ihn etwa die JEF fordert) für
derzeit ohne Mehrheit im Konvent. Die derzeitige
Debatte dort kreise um die Festschreibung lediglich
des status quo in Sachen Kompetenzen. Außerdem werde
die Weiterentwicklung des bereits in den Verträgen
angelegten Vermittlungsausschusses dahingehend
erwogen, daß auch nationale Abgeordnete darin
vertreten seien. Diskutiert würden weiter ein
Klagerecht für (konstitutionelle) Regionen, die Frage
von Gewaltenteilung und qualifizierter Mehrheit.
Anwesend ist auch der neugewählte Vorsitzende des
Europaausschusses im ungarischen Parlament und
Konventsmitglied, der zugibt, daß in Ungarn anfangs
wenig bis gar nicht über Fragen der EU-Zukunft
diskutiert worden sei. Der Konvent ändere daran aber
insofern etwas, als hier erstmals die Möglichkeit zur
gleichberechtigten Diskussionsteilnahme der
Kandidatenländer bestehe.
Kurz nach 15 Uhr kommt Konventsvizepräsident Prof.
Giuliano Amato zu Besuch in unsere Anhörung und
spricht einige Worte über die Konventsarbeit zu uns.
Auch er betont die Gleichberechtigung von
Kandidatenstaaten und Mitgliedstaaten im Konvent. Er
spricht sehr ermutigend von einem „esprit
constituante“ im Konvent (gut angesichts der Tatsache,
daß David Schneider-Addae-Mensah im ersten Teil der
Anhörung ja eine Eigendynamik des Konvents und sein
Verständnis als Verfassungsgebende Versammlung
gefordert hatte).
Es seien sowohl „more as less Europe“ notwendig. Die
höhere Ebene solle sich künftig wieder stärker auf
Rahmenrichtlinien besinnen.
Als Ergebnis der Konvents sieht Amato in jedem Fall
ein neues Dokument, Konventspräsident Giscard
d’Estaing spreche insofern von „constiution treaty“,
aber auf die Benennung scheint es Amato nicht so sehr
anzukommen. Der Charakter dieses Dokuments als
Verfassung hänge aber in jedem Fall von der Art seiner
Annahme ab. Er wirft sowohl eine Annahme des Texts
durch den Konvent in die Diskussion, als auch eine
Annahme durch das EP plus durch 4/5 der nationalen
Parlamente.
Amato spricht sich für die Abhaltung eines Referendums
über das Ergebnis aus.
Anschließend wird die schon begonnene zweite Runde mit
NGO-Statements fortgesetzt. Besondere Erwähnung findet
insofern noch das Statement von Marc-Oliver Pahl für
die EUD, der zum einen den Punkt mit der
Parlamentswahl des Kommissionspräsidenten bei Amato
vermißt hatte (Pflüger hatte Amato allerdings die
weitgehend einige Sichtweise der heutigen Versammlung
zu diesem Punkt mit auf den Weg gegeben – die deutsche
Position, so Pflüger, sei pro Parlamentswahl des
Kommissionspräsidenten nach den jeweiligen
parlamentarischen Mehrheiten). Außerdem denkt MOP wie
auch David Schneider-Addae-Mensah die Schaffung einer
gerichtlichen Vorabkontrolle bei möglichen Verstößen
gegen die Kompetenzordnung an, ein dem französischen
„Conseil Constitutionel“ ähnelndes Modell.
Eine weitere Fragerunde von MdBs schließt sich an.
Fazit:
Für den ersten Einstieg eine gelungene Veranstaltung.
Aus BT-Kreisen erfuhr ich, daß die JEF damit den Fuß
in der Tür hat und bei entsprechenden Fachthematiken
auch künftig angefragt werden wird. Daher konnten wir
unseren Anspruch als einer der wichtigsten
spezialisiertesten Jugendverbände auf dem Gebiet der
Europapolitik unsere Anerkennung in der Öffentlichkeit
ein Stück weit ausbauen.
Auch wenn unsere Vorstellungen und Visionen teils
erheblich weiter gehen, als jene der gestern i. ü.
anwesenden NGOs; die Tendenz geht doch in unsere
Richtung und letztlich wird es zur Umsetzung unserer
Vorstellung kommen. Wenn nicht heute, dann morgen.
Viele Grüße
David
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David Schneider-Addae-Mensah
Bundesvorsitzender Junge Europäische Föderalisten D
President JEF-Germany
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