interview mit Meyer

From: Jan Seifert (email@jan-seifert.de)
Date: Sun Feb 03 2002 - 16:35:48 CET


Zwischen Staatenbund und Bundesstaat

Jürgen Meyer, Vertreter des Bundestags im EU-Konvent, will möglichst
schnell eine europäische Verfassung

Er darf sich als einer der Väter des europäischen Verfassungskonvents
fühlen. Bereits 1995 machte sich der Juraprofessor Jürgen Meyer für einen
solchen EU-Konvent stark. Nun wird er den Bundestag in dem Gremium
vertreten. Mit dem SPD-Politiker sprach Stefan Ulrich.

SZ: Der Nizza-Vertrag ist noch nicht in Kraft, da stürzt sich Europa in die
nächste Reform. Warum diese Unrast?

Meyer: Die kommende Reformrunde mit dem Thema „Verfassung der Europäischen
Union“ ist unbedingt notwendig und kommt in letzter Minute. Denn die
bevorstehende EU-Erweiterung birgt die Gefahr, dass die Zentrifugalkräfte
erstarken. Deshalb muss parallel zur Erweiterung eine Vertiefung und
Stärkung der Gemeinschaft erreicht werden – und genau darum geht es bei dem
Verfassungsprojekt.

SZ: Auf welche Fragen muss der Konvent unbedingt eine Antwort finden?

Meyer: Erstens sollte die EU-Grundrechtecharta verbindlich und beim
Europäischen Gerichtshof einklagbar werden. Zweitens müssen wir klären,
welche Kompetenzen Brüssel und welche die Mitgliedsstaaten haben sollen.
Drittens müssen Europaparlament und nationale Parlamente in der EU- Politik
gestärkt werden. Es wäre inakzeptabel, irgendwann den Konvent zu beenden
und damit die intensive Beteiligung von Parlamentariern auslaufen zu
lassen. Der Grundgedanke – mehr Demokratie, mehr Parlament – muss sich in
der Verfassung Europas spiegeln.

SZ: Reizwort Verfassung: Briten und Skandinavier sind dagegen. Wie sollen
sie umgestimmt werden?

Meyer: Ich habe das Wort Verfassung lange vermieden, um keine Irritationen
entstehen zu lassen. Dabei ging ich davon aus, dass auch die Franzosen
etwas gegen diesen Begriff hätten. Doch dann hat Präsident Chirac im Juni
2000 im Bundestag selbst von einer Verfassung für Europa gesprochen. Klar
muss aber sein, dass eine solche Verfassung nichts mit einem europäischen
Superstaat zu tun hat. Sie setzt nicht einmal einen Staat im herkömmlichen
Sinne voraus.

SZ: Europa bleibt ein Zwitter zwischen Staatenbund und Bundesstaat?

Meyer: Ich bevorzuge den Begriff „Föderation der Nationalstaaten“.

SZ: Verfassung, Föderation – das klingt stark nach Bundesrepublik. Soll am
deutschen Wesen Europa genesen?

Meyer: Auf keinen Fall. Wir müssen das Verfassungsrecht der verschiedenen
Staaten vergleichen und zu Lösungen kommen, die unserer gemeinsamen
Tradition entsprechen. Im Grundrechtskonvent, der im Jahr 2000 unter Roman
Herzog arbeitete, ist das gelungen.

SZ: Der Verfassungskonvent ist aber sehr heterogen. Wie sollen Europhile
und Europagegner, Postfaschisten und Postkommunisten zusammenfinden?

Meyer: Die Europhilen werden deutlich in der Mehrheit sein. Klar ist
freilich auch, dass einige Delegierte noch negativer als nur
europaskeptisch eingestellt sind. Ich glaube aber, dass sie einen
Lernprozess durchmachen werden und der Konvent eine Dynamik entfaltet, die
uns zusammenbringt.

SZ: Bisher wurden Reformen von den Regierungen ausgefeilscht. Nun tagt ein
Gremium, in dem mehrheitlich Abgeordnete sitzen. Eine Revolution?

Meyer: Eindeutig ja! Die alte Methode ist spätestens beim Nizza-Gipfel vor
gut einem Jahr an ihr Ende gekommen. Die Staats- und Regierungschefs haben
da einen Vertrag ausgehandelt, der kaum lesbar ist. Das Konventsverfahren
hat sich dagegen bereits bei der Grundrechtecharta bewährt. Es ist
öffentlich, bezieht die Zivilgesellschaft ein und stützt sich auf die
Arbeit der Volksvertreter.

SZ: Auch nach dieser Methode werden schließlich die Regierungen das letzte
Wort haben. Sie könnten Vorschläge des Konvents beiseite wischen.

Meyer: Das glaube ich nicht. Zum einen sind die Regierungen ja selbst durch
Vertreter in den Konvent eingebunden. Zum anderen gilt wie beim
Grundrechtsgremium: Ein überzeugendes Reformkonzept wird sich durchsetzen
und die Regierungen binden.



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