Re: EUMC in Wien

From: Virgilio Dastoli (vdastoli@europarl.eu.int)
Date: Tue Nov 20 2001 - 10:10:39 CET


>>> "Kai Drewes" <k.drewes@tu-bs.de> 11/18/01 07:52 >>>

Hallo Leute,

nicht nur für diejenigen, die zum EuCo nach Wien fahren, vielelleicht nicht ganz uninteressant: Ich hatte vorgestern die Gelegenheit, einem Vortrag von Prof. Dr. Peter Fleissner (von Haus aus Ökonom und Mathematiker und Informatikprofessor an der TU Wien), seit Mai 2000 Forschungsdirektor der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia, EUMC) in Wien zu lauschen, einer Einrichtung, die bislang in der Öffentlichkeit und auch von uns als JEF kaum wahrgenommen wird. Im folgenden gebe ich die wesentlichen Punkte aus Fleissners Vortrag wieder.

(Ort des Vortrags war übrigens das Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung hier in Braunschweig, das eine recht segensreiche Arbeit z.B. im Bereich der deutsch-polnischen Verständigung leistet und auch als Schulbucharchiv des Europarates fungiert - ich kann bis heute nicht verstehen, weshalb der Bundesausschuß, der sich letztes Jahr in Braunschweig mit dem Thema Bildung beschäftigt war, keinen Referenten vom GEI eingeladen hat:-(; naja, egal.)

Zurück zum EUMC. Das EUMC ist durch eine Verordnung des Rates vom 2. Juni 1997 (also im Europäischen Jahr gegen Rassismus) eingerichtet worden und ist als "agency" der Kommission zwar etwas unabhängiger von den in der EU sonst üblichen bürokratischen Prozessen, verfügt aber über nur 25 Mitarbeiter, und seine Berichts- und Bewertungstätigkeit wird überdies von einem Aufsichtsrat (unter Mitwirkung des Europarates) begleitet, der in erster Linie dem Rat verantwortlich ist (und mehr Mitglieder hat als das EUMC Mitarbeiter ...). Was Wunder, daß nationale Befindlichkeiten die EUMC-Arbeit immer wieder erschweren und sich daher mitunter politische Einflußnahme in den offiziellen Verlautbarungen bemerkbar macht.

Das EUMC, das Jahresberichte und monatliche Bulletins herausgibt, unterhält zur Datensammlung das Informationsnetzwerk RAXEN mit sog. Focal Points in jedem EU-Mitgliedsland. Diese 15 Vertragspartner des EUMC werden anhand eines konkurrenzorientierten Ausschreibungsverfahrens ausgewählt und können winzige NGOs ebenso sein wie riesige staatliche Einrichtungen oder privatwirtschaftlich organisierte Forschungsinstitute (die Spannbreite ist momentan wirklich derart groß). Deutscher Focal Point ist das European Forum for Migration Studies (EFMS) in Bamberg unter Leitung von Prof. Heckmann.

RAXEN sammelt Daten in den Bereichen 1. Beschäftigung (Diskriminierung am Arbeitsmarkt und am Arbeitsplatz), 2. rassistische Übergriffe und Gewalt, 3. Gesetzgebung und 4. Schulwesen/Bildungssystem. Ein Anliegen des EUMC ist es, auf nationaler und europäischer Ebene "round tables" mit NGOs, Forschungsinstituten, Kirchen und Sozialpartnern zu etablieren, auch um sich über die "bewährte Praxis" auszutauschen. Nach dem 11. September gilt das besondere Augenmerk des EUMC den Einstellungen in der EU-Bevölkerung gegenüber moslemischen Gemeinschaften (Übergriffe gegen Moslems kommen in den letzten Wochen vor allem in Großbritannien, Dänemark und den Niederlanden vor).

Wenn überhaupt, ist das EUMC dadurch ein wenig bekannter geworden, daß es im April/Mai 2000 eine EU-weite Umfrage zum Themenkreis Rassismus und Fremdenfeindlichkeit durchgeführt und ausgewertet hat, und zwar im Rahmen des Eurobarometers (hrsg. von der GD EDUC der Kommission und halbjährlich durchgeführt von INRA in Brüssel), indem diesmal zusätzlich zum Standardfragebogen 12 weitere Fragen gestellt wurden (die Datensätze der Umfrage gibt es übrigens auf der Website des EUMC im SPSS-Format). Fleissner verwies ausdrücklich auf verschiedene methodische Probleme, die ein Vergleich zwischen den Antworten aus den 15 verschiedenen Gesellschaften mit sich bringt. Eine Typologie der EU-Bevölkerung in ihrer Gesamtheit ergebe jedenfalls im groben folgendes Bild: 21% der Unionsbürger seien in bezug auf Ausländer aktiv tolerant, 39% passiv tolerant, 25% ambivalent und 14% intolerant. Insgesamt sei eine große Mehrheit europaweit gegen "Ausländer raus"-Parolen.

Von den Umfrageergebnissen her relativ polarisiert stellten sich dabei z.B. Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich dar; außer in Belgien und Griechenland gebe es aber in allen EU-Ländern mehr aktiv Tolerante als Intolerante. Sorgenkinder sind immer wieder Dänemark, Griechenland und Belgien, während die restlichen skandinavischen Staaten, die Niederlande und - für mich überraschend - Spanien die xenophilsten EU-Länder seien.

In Österreich wie auch in Deutschland wurden Antworten übrigens besonders häufig verweigert, was im Falle Österreichs natürlich auch stark mit der schwarz-braunen Regierung und den Sanktionen des Europäischen Rates zu tun hat. Auch in Deutschland gibt es weitverbreitete Ängste vor ausländischen Arbeitnehmern, insbesondere im Hinblick auf die EU-Erweiterung. Bemerkenswerterweise findet die Parole "Ausländer raus" auch im ganz linken deutschen Spektrum einige Unterstützung, und die Zahl der Intoleranten ist in Ostdeutschland besonders hoch. Freilich sind es in den neuen Bundesländern vor allem Jüngere, die intolerant sind, während die Älteren eher die Toleranten sind - in der alten Bundesrepublik hingegen ist es genau umgekehrt!

Fleissner machte klar, daß Rassismus seinem Verständnis nach ein gesellschaftliches Konstrukt ist, das oft mit einer Ideologie der Überlegenheit und einem biologistischen oder kulturalistischen Unterscheidungsmerkmal verbunden ist. Stets sei Ausländerfeindlichkeit ein Prozeß der falschen Verallgemeinerung gegenüber Individuen. Ziel müsse daher "soziales Lernen" in den Bildungssystemen und Medien sein, also eine Hebung des Bildungsstandes, klare politische Signale und gesetzliche Absicherungen, eine starke Beteiligung der Zivilgesellschaft und von NGOs usw. usf. Jedermann müsse klar sein, daß die EU der Zukunft mehr noch als jetzt schon eine kulturell, ethnisch und religiös vielfältige Gesellschaft sein werde. Als positiv bezeichnete Fleissner u.a. die Antidiskriminierungsbestimmungen nach Art. 13 EGV, also die Richtlinien gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz und aus ethnischen Gründen sowie das entsprechende Aktionsprogramm der EU, das im Januar 2001 angelaufen ist.

Auf meine Frage, ob und inwieweit das EUMC auch in den MOE-Staaten aktiv sei (zum einen im Rahmen des Monitoringverfahrens im Hinblick auf die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien, zum anderen im Vorgriff auf den Beitritt dieser Länder und damit die Einbindung neuer Focal Points), sagte Fleissner, daß das EUMC noch kein entsprechendes Mandat hätte! Immerhin gebe es einen regen Austausch mit OSZE und Europarat (der, wie gesagt, auch im Aufsichtsrat des EUMC vertreten ist).

Web-Adressen:
EUMC: http://eumc.eu.int
Über Prof. Fleissner: http://members.chello.at/gre/fleissner/default.htm

Viele Grüße

Kai

PS: Noch ein Lestip: Eine spannende und anregende Lektüre ist György Konrád: Der dritte Blick. Betrachtungen eines Antipolitischen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001. Der bekannte jüdisch-ungarische Schriftsteller Konrád, z.Z. Präsident der Akademie der Künste in Berlin, befaßt sich darin mit der politischen, gesellschaftlichen und intellektuellen Situation Europas an der Schwelle zum 21. Jahrhundert.

Kai Drewes
www.kai-drewes.de







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